Wenn die Welt anders riecht – Wie Hunde den Herbst erleben
Der Herbst - ein geruchliches Abenteuer für Mensch & Hund
Feuchtigkeit, Erde, Pilze, Wild – der Herbst riecht nach Veränderung.
Für uns bedeutet das vielleicht frische Luft, feuchtes Laub oder Kaminrauch. Für Hunde hingegen öffnet sich ein ganzes Universum aus chemischen Botschaften.
Ein einziger Atemzug liefert ihnen eine Fülle an Informationen: Wer war hier, wann, wie lange und in welcher Stimmung.
Während wir Menschen visuell geprägt sind, leben Hunde in einer Welt der Moleküle. Sie „sehen“ mit der Nase.
Wissenschaftlich betrachtet ist Riechen für Hunde keine Ergänzung – es ist ihre primäre Wahrnehmungsform.
Das olfaktorische Zentrum im Gehirn eines Hundes ist rund 40-mal größer als beim Menschen – gemessen an der relativen Gehirngröße.
Ihr Riechsystem ist eines der komplexesten im gesamten Tierreich.

Wie Hunde riechen – ein faszinierender Biomechanismus
Ein Hund riecht nicht einfach – er analysiert.
Bei jedem Atemzug wird die Luft über die Nasenmuscheln geleitet, die mit Millionen von Rezeptorzellen bedeckt sind. Beim Hund sind es rund 300 Millionen, beim Menschen etwa 5 Millionen. Diese Rezeptoren sitzen in einer spezialisierten Schleimhaut, die Geruchsmoleküle bindet und sie in elektrische Signale übersetzt.
Das Besondere: Hunde besitzen eine Trennfunktion zwischen Atmen und Riechen. Während wir beim Ausatmen Geruchsluft verdrängen, strömt beim Hund ein Teil der Luft über getrennte Nasengänge hinaus – so kann er Spuren kontinuierlich wahrnehmen, ohne den Duftstrom zu unterbrechen.
Zusätzlich kommt das Jacobson-Organ (Vomeronasalorgan) ins Spiel – ein zweites, unabhängiges Riechsystem, das chemische Signale (Pheromone) erkennt. Damit erfassen Hunde emotionale Zustände, Geschlecht, Paarungsbereitschaft oder Stress anderer Tiere – Dinge, die für uns unsichtbar bleiben.
Warum der Herbst die Geruchswelt verändert
Wenn die Luft feuchter und kühler wird, verändert sich ihre chemische Struktur. Geruchsmoleküle haften länger an Oberflächen, verdunsten langsamer und werden durch Feuchtigkeit stabilisiert. Das bedeutet: Gerüche bleiben „konserviert“.
Physikalischer Hintergrund:
- Kühle Luft: reduziert die molekulare Bewegung → Geruchspartikel zerfallen langsamer.
- Feuchtigkeit: bindet Gerüche an Bodenpartikel → weniger Verdunstung.
- Windverhältnisse: Herbstliche Brisen verwirbeln Duftmoleküle gleichmäßiger.
Für Hunde ist das wie ein riesiges Archiv aus Geruchsinformationen.
Eine Rehspur vom Vortag? Noch immer nachlesbar. Der Igel, der gestern durch den Garten lief? Noch präsent.
Das erklärt, warum Hunde im Herbst scheinbar „mehr“ schnüffeln – sie bekommen schlicht mehr geboten.
Was Schnüffeln mit Stressabbau zu tun hat
Schnüffeln ist Regulation. Wenn Hunde intensiv riechen, senken sich Puls und Cortisolspiegel, während Serotonin und Dopamin steigen. Der Hund fokussiert sich, kommt zur Ruhe, sortiert sich neu.
Das erklärt, warum kontrolliertes Schnüffeln – etwa im Mantrailing, bei Suchspielen oder gezielten Schnüffelrunden – so wirksam ist. Es verbindet Bewegung, Kognition und Selbstwirksamkeit.
Doghumens-Praxiswissen:
- Lange Leine statt kurzer Kontrolle: Gib Raum für Nase und Bewegung.
- Schnüffelrouten planen: Orte wählen, an denen der Hund sicher und störungsarm erkunden kann.
- Suchspiele im Alltag: Einfache Futtersuchspiele oder Geruchsunterscheidungen im Haus – besonders an regnerischen Tagen.
Riechen ist Training – für Gehirn, Nerven und Seele.
Die Verbindung von Sinn und Achtsamkeit
Der Herbst erinnert uns daran, die Welt wieder mit allen Sinnen zu erleben. Wenn dein Hund schnüffelt, verlangsamt sich automatisch euer Tempo. Du bleibst stehen, atmest mit, schaust genauer hin. In diesen Momenten entsteht etwas, das im Alltag oft verloren geht: gegenseitige Präsenz.
Doghumens-Gedanke: Nase an – Kopf an – Herz an. Hunde lehren uns, wieder in Kontakt mit der Welt zu kommen – nicht über den Kopf, sondern über den Moment.
Fazit: Geruchswelt als Spiegel des Hundeverhaltens
Der Herbst ist die beste Zeit, um zu verstehen, wie sehr Geruch Verhalten prägt.
Vom Jagdtrieb über Unsicherheiten bis zur Freude am Erkunden – all das hat seine Wurzeln in der Nase.
Wer Hunden ihre geruchliche Welt ermöglicht, stärkt nicht nur ihre Ausgeglichenheit, sondern auch die Beziehung.
Denn Riechen ist Kommunikation – still, ehrlich, tief.
Möchtest du tiefer in die Sinneswelt deines Hundes eintauchen?
In meinen Doghumens-Seminaren & Workshops lernst du, wie du das olfaktorische Potenzial deines Hundes gezielt förderst – für mehr Ruhe, Fokus und Lebensfreude.
Aktuelle Termine und Themen: www.doghumens.de
Wissenschaft & Quellen
- Horowitz, Alexandra (2016): Being a Dog – Following the Dog Into a World of Smell. Scribner.
- Siniscalchi, M. et al. (2018): Olfactory lateralization in dogs: scent perception and emotional processing. Behavioural Processes, 148.
- Walker, D. B. et al. (2006): Naturalistic quantification of canine olfactory sensitivity. Applied Animal Behaviour Science, 97(2).
- Horowitz, A. & Hecht, J. (2017): Inside of a Dog – Was Hunde wissen und fühlen. Knaur Verlag.
- Berns, G. S. (2015): How Dogs Love Us – A Neuroscientist and His Adopted Dog Decode the Canine Brain. New Harvest.
Lesetipp: Alexandra Horowitz beschreibt eindrucksvoll, wie Hunde über ihre Nase denken – ein Muss für alle, die die Welt aus Hundeperspektive verstehen wollen.




